„Nichts darf man mehr sagen“ wird sehr häufig gesagt. Meist von alten, weißen Männern, die lange sehr viel zu sagen hatten. Es wäre zu einfach, zu sagen, dass diese wie Ertrinkende verbal um sich schlagen, während sie in der Bedeutungslosigkeit versinken.
Betrachten wir lieber das (Un-)Verständnis von Meinungsfreiheit, das dieser Haltung zugrunde liegt. Demnach wird Meinungsfreiheit zwar als wichtig verstanden, aber in ihrer Bedeutung missverstanden.
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten […] Eine Zensur findet nicht statt.“
Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes
Und nun schreien sie aber alle Zensur. Zu recht? Nein. Natürlich nicht. Was viele offenbar nicht verstehen: Meinungsfreiheit ist keine Einbahnstraße! So wie du deine Meinung äußern darfst, darf ich der Meinung sein, dass du Unrecht hast und dir widersprechen. Genau daraus entsteht ein politischer Diskurs.
Ein Diskurs, den privilegierte Männer wie Thomas Gottschalk offenbar vermeiden wollen. Sie würden gerne unwidersprochen bleiben. Wie es Jahrzehnte lang auch so war. Wenn man das Zitat so nimmt, wie es durch die klassischen und sozialen Medien schwappt, dann erlaubt Gottschalk niemandem, ihn zu zensieren. Nicht mal sich selbst, denn ihn nerve es, erst nachdenken zu müssen, bevor er etwas sagt. Dieses Zitat offenbart viel mehr als Herrn Gottschalk vielleicht bewusst ist.
Als Rhetoriktrainer fände ich es nämlich sehr gut, wenn wir alle mehr nachdächten, bevor wir etwas sagen. Weil wir damit bewusster darauf achten, welche Botschaft wir aussenden. Welche Wirkung wir auf andere haben. Darauf verzichten zu können, ohne irgendwelche Konsequenzen befürchten zu müssen, das ist tatsächlich ein Privileg, das in einer offenen, gleichen Gesellschaft niemand haben sollte.
Ja, es ist anstrengend, seine Meinung nicht nur äußern, sondern dann auch noch verteidigen zu müssen. Denn das gelingt nur, wenn ich vorher nachgedacht habe und mich vielleicht auch mal selbst zensiert habe. Wie sagte schon Heinz Erhard: „Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie denken.“ Zumindest sollte man nicht glauben, dass jeder Gehirnfurz es wert ist, als Meinung in die Welt geworfen zu werden.
Das Problem ist dabei nicht, dass ein alternder Entertainer sich gerne eine Extrawurst braten würde. Sondern dass er damit Vorbild ist für viele andere, nicht annähernd so bekannte alte, weiße Männer, die alle ihr Extrawürstchen unwidersprochen zur Schau stellen möchten. Ein geistiger Exhibitionismus, der im Resultat dem mit entblößtem Geschlecht gleicht: Vielleicht ist er doch kleiner und unbedeutender als du dachtest.
Unsere Gesellschaft entwickelt sich in vielen Bereichen weiter. Immer mehr wird offen angesprochen. Und ja, das ist, wie oben schon geschrieben, manchmal nervig. Gehört aber zum Wandel unabdingbar dazu. Widerspruch ist keine Zensur! Sondern eine Einladung zur weiteren Kommunikation. Wer diese ausschlägt, weil er glaubt es nicht nötig zu haben, sich zu hinterfragen oder gar hinterfragen zu lassen, der hat fertig. Das gilt aber auch anders herum. Wer nun glaubt, man solle solche Aussagen ignorieren, der irrt gewaltig.
Stattdessen sollte man Gottschalks und ähnliche Äußerungen einfach konsequent immer wieder selbst als Widerspruch zum Widerspruch auffassen und immer wieder nachhaken. Nervig sein und nervig bleiben. Aber eben auch akzeptieren, dass solch eine überhebliche Antwort auch einen Diskursbeitrag darstellt, der nur die nächste Runde einläutet. Dieser demokratische Prozess kommt nie zu einem Ende, bzw. wenn er an ein Ende käme, gäbe es keinen Meinungsaustausch und keinen Diskurs mehr.
Wetten, dass?
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