Empfehle ich Dir im Folgenden tatsächlich öfter zu fluchen? Ja, absolut! Warum? Dazu folgende Anekdote. Angespannte Situation in einem Meeting, es ging, oh Überraschung, viel länger als gedacht. Alle waren müde. Alle waren genervt. Und dann schüttete sich jemand Kaffee über die Hose und hat sehr heftig geflucht. Alle mussten lachen, inklusive dem Menschen selbst. Und danach war die Stimmung deutlich besser. Fluchen kann also durchaus positive Auswirkungen haben.

Dabei ist Fluchen ja etwas, das wir eigentlich zu vermeiden suchen. So bringt man es uns schon im Kindesalter bei: „Sowas sagt man aber nicht!“ oder „Pfui, was Du in den Mund nimmst, nehm´ ich nicht mal in die Hand!“ Und umso mehr Spaß macht es. Hach, Erziehung ist was tolles.

Also, warum solltest Du verdammt noch mal trotzdem fluchen? Hier fünf gute Gründe:

Du zeigst damit Emotionen.

Denk nur mal an Aussagen, mit denen der Redner oder die Rednerin aufrütteln möchte? Wenn das zu rational, zu höflich vorgetragen wird, reißt das niemanden vom Hocker. Wenn die Leute sich über irgendeinen Missstand empören sollen, musst Du das auch tun. „Wann machen wir verdammt noch mal endlich was gegen Kinderarmut?“ Wirkt einfach stärker, erzeugt mehr Emotion.

Fluchen signalisiert Vertrautheit

Fluchen und Beleidigungen können tatsächlich auch Vertrautheit signalisieren. Wer sich auf freundschaftliche Art liebevoll beleidigt oder voreinander herumflucht, signalisiert damit: Vor Dir kann ich das machen. Wir verstehen uns. Hier kann ich sein wie ich will. Und, auch ganz wichtig: Ich weiß, wie weit ich bei Dir damit gehen kann, was unter uns noch akzeptabel ist. Und das schafft eben Vertrautheit innerhalb einer Gruppe. Zum Beispiel unter Kolleg:innen, die damit auch mal Dampf ablassen.

Es tut uns selbst gut

Wir halten mehr aus, wenn wir fluchen. Stress zum Beispiel wird so abgebaut. Aber laut einer Studie des Verhaltenspsychologens Richards Stephens halten wir Menschen sogar Schmerzen besser und länger aus, wenn wir dabei fluchen.

Lange galt in der Medizin die Meinung, dass Fluchen bei Schmerzen kontraproduktiv sei, weil man sich auf die negativen Aspekte konzentriert. „Positive Mindset“ und so. Du kennst das. Und bist vielleicht auch nicht in allen Lebensbereichen davon überzeugt. Der Verhaltenspsychologe Richard Stephens war das auch nicht und fragte sich daher, warum wir trotzdem fluchen, wenn es doch angeblich schlecht für uns ist.

Den ersten Versuch führte er mit 67 Freiwilligen durch, wobei das Experiment später noch mehrere Male wiederholt wurde. Die Teilnehmenden wurden ganz zufällig in zwei Gruppen eingeteilt und mussten ihre Hände in Eiswasser halten. Die eine Gruppe durfte dabei fluchen. Die andere nicht. Dann wurde gemessen, wie lang die Teilnehmenden jeweils ihre Hände im eiskalten Wasser lassen konnten. Erstaunliches Ergebnis: Die Gruppe, die nach Herzenslust fluchen durfte, war deutlich schmerzresistenter, im Durchschnitt schafften sie bei der Zeit 50% mehr! Das ist schon eine ganze Menge! (siehe dazu z.B. https://www.jpain.org/article/S1526-5900(11)00762-0/fulltext) Aber: Die Wirkung des Fluchens ließ offenbar nach, wenn man es zu stark einsetzte. Manche Menschen fluchten bis zu 60 Mal am Tag!

Stressabbau auch in der Gruppe

Da sind wir wieder genau bei der kleinen Anekdoten, mit der ich eingestiegen war. Zur Erinnerung: Meeting, Kaffee, Fluchen, Lachen. Ergebnis: Stressabbau. Dieser Stressabbau durch das Fluchen, den Stephens in seinem Experiment mit dem kalten Wasser nachgewiesen hat, funktioniert auch in einer Gruppe. Das heißt: Hier verbinden sich die beiden vorher genannten Punkte: Ein Fluch zur rechten Zeit kann auch Anspannung aus einem Gespräch rausnehmen UND Verbindung zwischen den Beteiligten herstellen, wenn die anderen genau so fühlen wie Du oder sich zumindest – wie bei dem heißen Kaffee – in Deine Situation hineinversetzen können.

Du befindest Dich in bester Gesellschaft

Fluchen, das tun Bauarbeiter. Oder betrunkene Fußballfans. Und ja, das stimmt. Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Fluchen kennt keine soziale Herkunft, keine Einkommensobergrenze, o.ä. Selbst in der Hochliteratur finden sich genügend Beispiele. Eines der berühmtesten sei hier zitiert. Es stammt von niemand geringerem als dem alten Goethe.

Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken!

aus Goethes Götz von Berlichingen

Ich erwähne es der wissenschaftlichen Genauigkeit halber noch mal explizit: IM Arsche. Das heißt: Unser heutiges „Ja, leck mich doch AM Arsch“ ist schon eine abgeschwächte Fassung des hochliterarischen Originals. Lass Dir das mal lieber nicht auf der Zunge zergehen.

Fazit: Es gibt genügend gute Gründe zu fluchen. Aber: Auch ein paar Fallstricke. Es muss authentisch sein in der Situation. Sonst müsstest Du wirklich sehr gut schauspielern können. Es muss angemessen sein. Also nicht wirklich angemessen, Fluchen soll ja gerade ein bisschen unangemessen sein. Aber eben nicht mehr als das, nicht komplett überzogen sein. Je nach Gesellschaft und Anlass und Deiner Rolle in dem Ganzen. Als Chef oder Chefin immer schwieriger als wenn man „von unten“ mal einen Fluch raushaut.

Bonus

Bei den Recherchen für diesen Artikel bin ich auf das „deutsche Schimpfwörterbuch von 1839“ gestoßen, das übrigens völlig kostenlos im Internet einsehbar ist. Hier einige der schönsten Beschimpfungen, die sich darin finden:

  • Arschgucker
  • Arschkröte
  • Arschmonarch
  • Auswürfling
  • Bartputzer
  • Bettbrunzer
  • Bierhausschwätzer
  • Bohnenjockel
  • Brandweinbulle
  • Bratwurstmaul
  • Brausekopf
  • Bröseldieb
  • Brunzprophet
  • Büchsenscheißer
  • Fensterscheibenzähler
  • Fressmops
  • Ofenpudel

Was denkst Du über das Fluchen und Schimpfen? Lässt Du es raus oder setzt es gar als „rhetorisches Stilmittel“ ein? Und wie wirkt es auf Dich, wenn jemand anderes flucht? Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen.

Hi. Mein Name ist Oliver Walter. Ich bin Rhetoriktrainer & Coach. Hier blogge ich über mein Lieblingsthema: Rhetorik & Kommunikation. Wenn ich Dir mit meiner Fachmeinung oder meinem Knowhow weiterhelfen kann, lass es mich gerne wissen. 

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