Mein Sohn hatte mit vier Jahren eine Phase, in der er entdeckt hat zu argumentieren. Als ich ihn fragte, wie er denn darauf kommt, ich würde ihm jetzt Gummibärchen kaufen, hat er im Brustton tiefster Überzeugung geantwortet: „Weil“. Ja, was weil? „Ja weil.“ Das war die ganze Begründung. Er hatte gelernt, dass eine Begründung mit Weil beginnt. Weiter war er damals noch nicht. Aber immerhin. Ein Anfang. Manche Mitmenschen sind leider auch im Erwachsenenalter noch nicht über diese Stufe hinausgekommen. Aber sie haben wenigstens gelernt das gut zu kaschieren. Mit Scheinargumenten.
Scheinargument. Der Name erklärt sich eigentlich von selbst: Nur dem Anschein nach ist es ein Argument, weil es die logische Struktur einhält. ABER: Scheinargumente sind nicht immer böswillig. Ich erinnere da gerne wieder an Hanlons Razor: Erkläre nichts mit Boshaftigkeit, was sich auch hinreichend erklären lässt mit… Dummheit. Oder Inkompetenz. Oder einfach der ganz normalen Fehlbarkeit des Menschen. D.h. nicht immer steckt eine fiese Betrugsmasche dahinter. Vielleicht hast auch Du Dich schon mal eines Scheinarguments bedient ohne es zu merken.
Von daher kritisiere bitte nicht die Person, die ein Scheinargument vorbringt. Sondern wirklich nur das Scheinargument! Das ist eine ganz wichtige Unterscheidung. So wie es ein Unterschied ist, ob ich zu jemandem sage: „Das war jetzt aber blöd von Dir“. Oder „Du bist blöd“. Im einen Fall kritisiere ich ein Verhalten. Im anderen die ganze Person. Und das beschädigt sehr schnell die Beziehungsebene.
Deshalb ist es oft cleverer, auf Scheinargumente durch Fragen einzugehen. Statt den Schiedsrichter zu spielen und zu sagen „Gelbe Karte! Scheinargument!“ gibt es bei jedem der Scheinargumente, die ich Dir heute vorstellen will, gute Ansätze um mit Fragen nachzuhaken und das Gegenüber dazu zu bringen die eigene Position zu überdenken und selbst drauf zu kommen, dass das jetzt gar nicht so überzeugend war wie gedacht.
Hier jetzt die 5 häufigsten Arten von Scheinargumenten.
Das Dilemma
Das klassische Dilemma: Pest oder Cholera, Hü oder Hott. Das Dilemma bedeutet immer schwarz-weiß denken statt Graustufen. Klar lässt sich das gut nutzen, wenn eine der Optionen definitiv unvorteilhaft ist. Möchtest Du lieber 1 Million Euro oder eine unheilbare Krankheit? Extrembeispiel, klar. Aber es verdeutlicht gut, dass schon durch die Auswahl der Alternativen vorgegeben ist, dass Du nicht lange überlegen brauchst/sollst, wofür Du Dich entscheidest. Erinnert mich übrigens an den unvergessenen Samy Davis Junior, der in einem uralten Film eine Szene hatte, in der ihn Gangster mit einer Waffe bedrohen, denen er Geld schuldet. Die sagen zu ihm: 10.000 Dollar oder ein drittes Loch in der Nase! Und er antwortet ganz cool: Wenn das so ist, nehm´ ich die 10.000 Dollar… Genau mein Humor.
Die Frage, die Du Dir stellen solltest ist immer: Gibt es wirklich nur zwei Alternativen? Und warum dann ausgerechnet diese zwei?
„Entweder wir expandieren. Oder wir werden in wenigen Jahren bankrott sein“. Sicher? Gibt es keine andere Möglichkeit wirtschaftliche Stabilität zu sichern? Bestimmt! Es gibt im Leben und gerade auch in der Wirtschaft so gut wie immer mehr als nur zwei total extreme Optionen. Also startest Du am besten ein Brainstorming um weitere Optionen zu finden oder auch je nach Thema einen Mittelweg zwischen diesen Extrempositionen aufzuzeigen.
Das Traditionsargument
„Das haben wir schon immer so gemacht“ oder „es gehört seit jeher zu den Grundprinzipien dieser Firma…“ Also warum was ändern? Das ist die Logik dahinter.
Aber Dinge ändern sich. Und wer zu spät reagiert, der hat ein Problem. Den letzten beißen die Hunde, wie es so schön heißt. Auch wenn das, was man schon immer so gemacht hat, bisher funktioniert, heißt das ja nicht, dass etwas anderes in der Zukunft nicht besser funktionieren wird. Und vielleicht sogar jetzt schon. Das Bessere ist der Feind des Guten. Aber, und als Coach weiß ich das nur zu gut, der Mensch lebt lieber mit einem bekannten Problem als sich auf neues, unbekanntes Terrain zu begeben. Systemtheoretiker sprechen da auch von einer Trägheit des Systems, das am liebsten einen bestimmten Zustand aufrecht erhält.
Also, was tun um aus den alten Traditionen rauszukommen? Auch hier helfen Fragen. „Was würde denn passieren, wenn wir mal was neues ausprobieren?“ oder auch beruhigen. „Wir müssen ja nicht gleich alles um 180 Grad drehen. Aber lasst uns doch mal ein paar Dinge ausprobieren.“
Merke: Nur weil man was schon immer so gemacht hat, muss es nicht für die Zukunft gut sein. Es gibt ja diesen alten Chirurgenwitz: Sagt der Chirurg zum Patienten keine Sorgen, ich hab diese Operation schon ein paar hundert Mal gemacht. Dieses Mal muss es einfach klappen!
Und der Witz enthält viel Wahrheit. Man kann etwas schon seit Ewigkeiten genau so machen – und es ist trotzdem schlecht. Dass man Dinge seit Ewigkeiten so macht wie man sie macht ist kein Qualitätsbeweis!
Das Autoritätsargument
„Der Chef hat aber gesagt, dass…“, „Wie Professor …, bei dem ich damals in Göttingen studierte, einst in einem Vortrag sagte…“ oder „Schon Kant wusste…“
All diese Aussagen berufen sich auf eine Autorität. Deshalb sind ja auch Zitate von Einstein so beliebt bei Redner:innen. Oder eine Führungspersönlichkeit nutzt die eigene Autorität. Man denke an den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein „Basta!“ um die Hartz4-Reformen durchzusetzen.
Wie gehst Du damit am besten um? Hinterfrage, ob diese Person überhaupt eine Autorität auf diesem Gebiet ist. Man denke nur daran, wer sich alles zu Corona äußerte, bzw. dazu befragt wurd. Und leider ernst genommen wird, auch wenn der Doktortitel in BWL gemacht wurde. Oder in Philosophie. Es gab gar eine Redakteurin einer deutschen Philosophiezeitschrift, die sich in einer TV-Talkrunde ordentlich blamiert hat. Wenn der Expertenstatus klar ist oder geklärt wurde, dann kann man nachhaken ob diese Person das denn wirklich gesagt hat. Und auch noch in einem Kontext, der für den aktuellen Fall gilt. Und ob diese Person das heute auch noch so sehen würde. Das zeigt: Die Liste an Fragen ist lang im Falle eines Autoritätsarguments.
Manchmal wird auch die schiere Masse als Autorität bemüht. „Also alle anderen haben gesagt sie sehen das genau so wie ich.“ Ja gut, wenn alle das so sehen… können sich auch alle zusammen hart irren.
Trotzdem ist es oft schwierig gegen „Schwarmintelligenz“ anzuargumentieren. Aber umso wichtiger. Am besten wechselst Du direkt zu einem Sachargument und ignorierst den Einwand ganz elegant. Du kannst aber natürlich auch Beispiele bringen wie z.B. dass ja auch alle dachten die Sonne drehe sich um die Erde bis Kopernikus herausfand, dass es anders herum ist.
Die Übersteigerung ins Absurde
„Wenn alle anderen aus dem Fenster springen, springst Du dann auch aus dem Fenster?“, „Das würde dem Verfall der Sitten Tür und Tor öffnen!“ oder „Was kommt als nächstes? Heiratet man irgendwann sein Haustier?“ Letzteres hat tatsächlich fast genau in diesem Wortlaut ein Politiker einer konservativen Partei so gesagt. Also die Konsequenzen aus der Ehe für alle komplett ins Absurde übersteigert. Um vor diesen zu warnen.
Hier hilft eine Relativierung und Versachlichung und zum Beispiel die Frage danach, ob die Folgen denn wirklich so gravierend sein würden, man kann auch gerne Statistiken bemühen, wenn es zum jeweiligen Thema welche gibt. Oder eben auch der Hinweis: Gehen wir mal nicht vom rein theoretischen worst case aus. Lassen wir die Kirche mal im Dorf. Und so weiter. Man darf also mal mehr, mal minder durch die Blume darauf hinweisen, dass das jetzt übertrieben ist. Auch die Frage „Wie kommst Du darauf, dass es gleich so weit kommen wird?“ Kann helfen um wieder mal den Rechtfertigungsdruck umzudrehen.
Ablenkungsmanöver jeder Art
„Worin liegen die Gründe für die hohen Stimmenverluste ihrer Partei?“ „Also erstmal möchte ich allen für den engagierten Wahlkampf danken. Es waren harte Wochen und jetzt ist es wichtig, dass wir nach vorne blicken und uns neu aufstellen. Sicher ist es für uns nicht optimal gelaufen, aber inhaltlich stehen wir geschlossen zusammen.“
„Was halten Sie vom Gendern?“ „Ja, haben wir denn sonst keine Probleme? (Whataboutism)“
„Ausgerechnet Sie sagen das? Wo Sie im letzten Projekt mit den Zahlen so weit neben der Kalkulation lagen?“
Ablenkungsmanöver sind sehr vielfältig. Es gibt aber eine pauschale Lösung für alle: Lass Dich nicht ablenken! Bleib beim Thema. Komm immer wieder auf Dein Thema zurück. „Interessantes Thema, guter Ansatz, aber wo waren wir gerade? Achja, Punkt Punkt Punkt…“
Zur Not wiederholst Du einfach immer wieder stupide Deine Kernfrage. „Okay, aber wie machen wir das jetzt mit der Logistik?“
Schreibe einen Kommentar