Narrative haben eine unfassbare Wirkmacht. Wir treffen die meisten Entscheidungen in unserem Leben nämlich nicht auf der Basis von Zahlen/Daten/Fakten. Und auch nicht immer nur nach unseren Emotionen. Sehr häufig bestimmen Narrative, also allgemeine Erzählungen wie die Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär, auch bekannt als „the american dream“ unser Handeln. In diesem Artikel erfährst du mehr über die Wirkmacht von Narrativen und wie gängige Narrative die Menschheit beeinflusst haben.
Bekannte Narrative
Der amerikanische Traum hat inzwischen eine moderne Variante: Von der eigenen Garage zur schicken Firmenzentrale im Sillicon Valley. Bill Gates hatte (auch nicht als erster) mit Microsoft in der eigenen Garage begonnen. Jeff Bezos dagegen hat sich angeblich extra ein Haus mit besonders großer Garage gekauft, um darin Amazon zu starten und hinterher die Geschichte von der Garage erzählen zu können.
Doch nicht nur der amerikanische Traum, dass es jede:r vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen kann, prägt bis heute die USA und fast den gesamten kapitalistischen Westen. Auch Hollywoods Erzählungen vom Kampf Gut gegen Böse wirkt in unseren Köpfen. Wobei die Filmindustrie dieses Narrativ auch nur übernommen hat von Sagen und Märchen, oder auch Heldenerzählungen wie der Odysee, etc.
Und so versuchen wir auch bei so komplexen Konflikten wie dem im nahen Osten für uns herauszufinden, wer die Bösen sind. Und wer die Guten. Die Israelis? Die Palästinenser? Die Möglichkeit, dass beide ihre historisch gewachsenen Gründe haben oder auch beide im Unrecht sein könnten, liegt anscheinend fern. Zumindest wenn wir uns die mediale Diskussion betrachten.
Nietzsche und der tote Gott
Friedrich Nitzsche hatte diese Kraft der Narrative erkannt. Für ihn war klar: „Gott ist tot“. Damit meinte er natürlich nicht, dass ein allmächtiges Wesen mit langem weißen Bart über uns im Himmel gestorben ist. Sondern dass der Glaube an Gott nachlässt. Und die Furcht, die seine Strafen wie Fegefeuer und ewige Verdammnis bei den Menschen hervorrufen. Und sie dadurch moralisch handeln lässt.
Fällt das weg, wie begründen wir dann Gebote wie „Du sollst nicht töten“? Nietzsche war klar, dass es neue Letztbegründungen braucht, wenn der Glaube an einen allwissenden, strafenden Gott nachlässt.
Hat jedes Narrativ auch ein Motiv?
Nun ist der Kampf Gut gegen Böse sicher absichtlich inszeniert, damit wir etwas daraus lernen. Sünde und Vergebung sind Leitmotive, um uns zu besseren Menschen zu machen. Doch ein wirksames Narrativ kann auch ganz zufällig entstehen. So wie das der bösen Stiefmutter.
In den Volksmärchen, die die Gebrüder Grimm sammelten, war oft die Mutter die Böse. Den Grimms war aber schnell klar, dass das in ihrer Zeit nicht gut ankäme. Eine Sammlung an Geschichten, in denen die allgemein glorifizierte Mutter (angelehnt an die Gottesmutter Maria) die Bösewichtin wäre, die ihre Kinder aussetzt, verkauft, etc. Also musste die Stiefmutter herhalten. Die war ja nicht die leibliche Mutter, also würde man es ihr eher nachsehen, so mit Kindern umzugehen.
Und schon war es entstanden, das Narrativ der bösen Stiefmutter, das bis in unsere Zeit wirkte und nun im Zuge der Patchworkfamilien erst aufgelöst wird. Der Begriff ist aber nach wie vor verpönt. „Bonuselternteil“ o.ä. ist weit verbreiteter.
Narrative brauchen keine Fakten
Das Beispiel aus der Märchenwelt zeigt deutlich: Narrative brauchen keine wissenschaftliche Basis! Niemand hat empirisch untersucht, ob Stiefmütter Kinder tatsächlich schlechter behandeln als leibliche Mütter. Und passend zum „Märchen“ vom Tellerwäscher und dem Millionär scheint wirtschaftliches Wachstum darauf angewiesen zu sein, dass die begleitenden Narrative keine soziale Ungerechtigkeit propagieren.
Erzählungen müssen einleuchtend sein. Überzeugend. Interessant. Aber nicht zwingend wahr. Gerade, wenn die Zahlen/Daten/Fakten nicht sehr viel hergeben oder sehr komplex und deshalb schwierig zu vermitteln sind, ist ein gutes, einprägsames Narrativ sehr sinnvoll. Allerdings ersetzen Narrative häufig auch die Fakten, bzw. laufen ihnen genau entgegen. „Flüchtlinge nehmen uns die Arbeit weg“, „Bürgergeldbeziehende sind alle faul“, etc.
Gerade in der Politik ist es oft erschreckend, wie oft eine Agenda auf Narrativen beruht. Und wie selten auf Fakten.
Fazit
Narrative prägen unser Denken, weil wir Geschichten so sehr lieben. Sie sind eingängig und bleiben haften. Und das oft sogar, ohne dass es uns bewusst ist. Achte daher mehr darauf, welche Narrative Deine Wahrnehmung prägen. Und wie Du sie bewusst einsetzen kannst, um Deine Argumentation zu unterstützen.
Schreibe einen Kommentar