„Nichts darf man mehr sagen!“
Dieser Satz nervt mich so, dass ich eine Podcastfolge und diesen Blogbeitrag nur darüber gemacht habe. Und warum der Satz vor allem aus rhetorischer Perspektive einfach falsch ist.
Wie sehr mich dieser Satz „nichts darf man mehr sagen“ wirklich nervt, fiel mir auf, als Thomas Gottschalk sich wortreich von Wetten dass verabschiedet hat. Weil er nicht mehr alles sagen darf. So sein persönliches Narrativ. Tatsächlich darf er immer noch alles sagen. Die Leute finden es nur nicht mehr so witzig wie früher, wenn er anzügliche bis sexistische Sprüche einstreut. Und wenn diese tatsächlich die Quintessenz seines Humors und seines Charmes sind, sorry, dann wäre das sehr traurig für eine Legende wie ihn.
Die Zeiten ändern sich. Das taten sie schon immer. Die einen gehen mit der Zeit. Die anderen gehen mit der Zeit (hier denke jede:r sich bitte die unterschiedliche Betonung). Dass ein 73jähriger nicht mehr am Puls der Zeit ist, mag jetzt niemanden verwundern. Dass er selbst darüber klagt, vielleicht auch aus verletzter Eitelkeit, ebenfalls nicht. Dass das aber nichts mit Cancel Culture zu tun hat, wenn ein alter Mann freiwillig abtritt aufgrund seiner persönlichen Befindlichkeit, ist hoffentlich allen klar.
Und zu Wetten dass als solches: Die ganze Sendung ist inzwischen so angestaubt wie der Humor von Thomas Gottschalk. Das ist auch völlig okay. Ich kann mir die schönen Erinnerungen aus der Kindheit an dieses Samstag-Abend-Lagerfeuer bewahren und dennoch sagen: Ich brauch das heute nicht mehr. Damals war es toll. Heute eben nicht mehr. Darüber müssen wir nicht traurig sein. Im Gegenteil. Seien wir dankbar dafür, dass wir das damals hatten. Und dankbar dafür, dass es jetzt hoffentlich wirklich endet, bevor noch mehr von dieser Legende aus falschem Verständnis von Nostalgie beschädigt wird. Das Pferd ist tot. Steigt doch bitte ab, bevor der Verwesungsgeruch unerträglich wird. Gottschalk hat, und das völlig zurecht, genug verdient, um sich sein Gnadenbrot selbst kaufen zu können. Aber seinen Abgang hätte er ohne dieses Lamentieren sehr viel eleganter gestalten können.
Klar hat Cancel Culture auch seltsame Auswüchse. Wenn Reggaemusiker zwar so klingen sollen wie Reggaemusiker, aber nicht so aussehen dürfen, weil das dann kulturelle Aneignung wäre. Sound wie Bob aus Jamaika. Optik wie Robert aus dem Reihenmittelhaus. Natürlich ist das Unsinn. Aber der Begriff Cancel Culture wird meist von jenen benutzt, die damit ein Feindbild skizzieren wollen, dass es so nicht gibt. Siehe „Layla“, diesen kulturellen Tiefpunkt selbst für Ballermannhits. Angeblich wurde der Song gecancelt. Weil einige Veranstalter:innen ihn nicht bei ihren Events spielen wollten. Das ist kein Verbot. Das ist das Hausrecht. So wie damals die Spider Murphy Gang mit ihrem „Skandal um Rosi“ es trotz Platz1 in den Charts nie in die ZDF Hitparade schaffte. Dieter Thomas Heck persönlich fand den Text zu anstößig. Gab es deshalb einen Aufschrei? Nein.
Aber auch abseits von Kunst und der großen öffentlichen Diskussion beschweren sich Menschen, sie dürften nicht mehr alles sagen. Was nicht stimmt. Du darfst nahezu alles sagen. Auch das N-Wort. Du musst dann aber damit leben, dass andere Dich zurecht darauf hinweisen, dass Du das nicht sagen solltest. Weil es für people of color einfach beleidigend ist. Und ja, es macht einen Unterschied, ob Gangsta-Rapper sich selbst als N**** bezeichnen. Oder ob Du so über jemand anderen redest. Aber Du wirst nicht verhaftet, Du bekommst keine Geldstrafe. Es ist also anscheinend weniger geächtet als Falschparken. Du musst nur mit Widerspruch leben. Und der gehört nun mal zur Meinungsfreiheit.
Denn Meinungsfreiheit bedeutet, dass Du alles sagen darfst. Aber nicht, dass Dir niemand widersprechen darf. Denn dummerweise gilt die Meinungsfreiheit auch für Andersdenkende. Statt hier in eine Debatte einzusteigen, ertönt aber meist das Mimimimi. Und das ist schade. Denn Du kannst nicht nur nicht erwarten, dass Dir nicht widersprochen wird. Du solltest das auch gar nicht wollen. Denn Widerspruch ist auch eine Form des Feedbacks. Beginn einer im Idealfall konstruktiven Auseinandersetzung. Denn du kannst auch dem Widerspruch widersprechen. So entsteht ein Meinungsaustausch. Das Mimimimi bleibt denen vorbehalten, die einfach nur Bestätigung suchen und sich verunsichern lassen von jeder Art von Feedback.
Alte Regel: Wer austeilt, muss auch einstecken können. Wer meint, er hätte ein Anrecht darauf beleidigende Begriffe zu benutzen, „weil er das schon immer so genannt hat“, der sollte auch bereit sein, mit verbalem Gegenwind klarzukommen. Wer sich daran gewöhnt hat, dass Raiders Twix heißt und das Stadion seines Lieblingsfußballvereins jetzt schon den dritten Namen innerhalb von 10 Jahren trägt, weil der Sponsor so häufig wechselt, der kann auch getrost ein Paprika-Schnitzel bestellen oder Schokokuss sagen. Allerdings gibt es dann keinen Grund mehr für ein Mimimimi. Und vielleicht ist das das Problem: Die Freude an der Opferrolle und eben jenem Mimimimi, auf das man dann verzichten muss.
Bei wem sich nun Widerspruch regt, der oder die verewige sich gerne in den Kommentaren.
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